27. Juli. 2024

Das Problem der irrealen Phänomentalität

Mit aktueller Bildbearbeitungssoftware ist es kein Problem, irgendwelche Effekte zu erzeugen. Bei einem Fotoapparat wie der Olympus E-P5 gibt es sogar einen Modus, bei dem alle möglichen Effekte automatisch auf ein Bild angewendet werden. Da rattert es nur so auf der SD-Card – also symbolisch gesprochen.

Es ist kein Problem mehr, online seine Fotos optimieren zu lassen und die gängigsten Filter für die Pixel ziehen zu lassen. Das geht ratzfatz und herauskommt dabei ein effektvolles Etwas. Miese Smartphonebilder werden dann noch mieser, aber Oh und Ah. Und das ist auch gar nicht schlimm.

Der schenkenhorster fehler. Foto: huflaikhan
der schenkenhorster fehler. foto: huflaikhan

Kein Fotograf, der etwas auf sich hält, würde das machen. Da ist pure konzentrierte Vorbereitung angesagt. Man hat alles im Griff. Und zwar immer. Erinnert so ein bisschen an den Luther zugeschriebenen Satz über Josquin des Prez:

„Josquin ist der noten meister, die habens müssen machen, wie er wolt; die anderen Sangmeister müssens machen, wie es die noten haben wöllen.“

Das ist schon ein beeindruckender Satz damals gewesen. Da waren die Komponisten, die man noch nicht so nannte, düpiert. Sie mochten eben permanent mit den Regeln arbeiten und kämpften sich an ihnen ab, ohne selbst zu dem Ziel zu kommen, etwas „eigenständiges“ zu machen. Heute kämpfen die meisten aber eben gar nicht mehr, sondern sie partizipieren an der Fähigkeit, das andere für sie schon die Technik vorausgekämpft haben. Das ist etwas ja ganz anderes. Die technische Nachbearbeitung mit mehr oder minder vorgefertigten Bearbeitungsalgorithmen führt nicht zwangsläufig zu identischen  Bildern oder ähnlicher Bildsprache.

In der Musik kennt man das schon auch. Da wird im Stile von XXX komponiert oder improvisiert; es sind dies einfach zu sortierende Stilmittel. Dass dies ein Computer nach genügender Programmierung auch hinbekommt, ist kein Geheimnis.

Die Technik, kann man denken, befreit von der Arbeit. So wie die Hoffnung auf den Robotern lagen, die von menschlich-schwerer Arbeit entlasten sollte. All das kann man. Und doch bleibt da der Rest, der das Handwerk von der Kunst scheidet. Dafür ist ganz interessant, was Theodor W. Adorno von der Zwölftontechnik einmal sagte: Sie sei ein unbarmherziger Samariter.

„Aber mit hartem Griff, ein unbarmherziger Samariter, stützt sie [die Zwölftontechnik] doch die zusammenbrechende musikalische Erfahrung.“ [Band 12: Philosophie der neuen Musik: Schönberg und der Fortschritt. Theoder W. Adorno: Gesammelte Schriften, S. 10148 (vgl. GS 12, S. 112)]

Die „zusammenbrechende musikalische Erfahrung“ – davor steht man unweigerlich im Knippsknapps-Universum. Da muss man dann schon sehr weit in die musikalische Tiefe des Materials vordringen.

Und so absurd es dann scheinen mag, sind diese vielen vorbereiteten Filter, die Zonensysteme und was es anderes gibt, ja selbst das Abwedeln in der Dunkelkammer natürlich mehr oder minder gelungene Versuche, das Material zu überlisten, das sich auf Film oder Datei abgebildet hat. Und da greift er eben so hart ein, der Filter, den man dann auch überlisten muss, wenn er nicht genau das gleiche Klischee erzeugen will, was er selbst von sich aus ist.

Neulich hatte ich das erste Mal von einem Fotografen für die Veröffentlichung in einer Zeitung bestimmtes Material in der Hand, das mit dieser Form von Effekthascherei vorverfertigt war. Drama-Baby. Ob es nun zur Sache passte oder nicht, der Hauch des Besonderen sollte von den Bildern ausgehen. Und so war es auch. Man hat die Bearbeitung bemerkt – aber nicht als bewusste Regelverletzung sondern als Fehler im Zusammenhang.

Die Schwierigkeit zwischen Regelverletzung und Fehler zu unterscheiden, fällt dabei nicht leicht. Und sie ist auch keine Entscheidung, die einmal getroffen, auf Dauer stimmen muss. Ein Regelverletzung kann mit der Zeit zu einem bloßen Fehler werden. Und ein Fehler später einmal zu einer Regelverletzung. Und zurück.

ostsee. himmel. foto: huflaikhan
wustrow. meer. foto: huflaikhan