„Man muss die Umwelt durch die Fotografie erkennen, sie durch die Augen und die Interpretation hindurchfiltern“, sagt Oliviero Toscani, der Fotograf der „Skandalkampagnen“ der Firma Bennetton in den 90-er Jahren, in einem Interview des Tages Anzeiger* (Schweiz). Er gibt in diesem Zusammenhang ferner zu bedenken, dass mittlerweile „jeder Esel“, dem man eine Kamera in die Hand gibt, ein Foto machen könne.
Nun, ich muss zugeben, so ganz erschließt sich mir der Inhalt dieser Aussage nicht, am ehesten dürfte Herr Toscani eine Art (vorsicht, großes Wort!) „Wahrheit“ hinter der Fassade gemeint haben, die eben nicht von jedem „Esel“ wahrgenommen werden kann, nur, gibt es denn dort auch immer etwas zu sehen?
Form follows function, war die Devise des Bauhaus. Ist die Devise unserer Zeit nicht eher die Umkehrung dieser Aussage, oder, schlimmer noch, gilt nicht gar: Form verdrängt Funktion, verdrängt Inhalt.
Vielleicht ist es ja eine Verschiebung der Wahrnehmung, wie sie sich in zunehmendem Alter einstellt (ich hoffe das sehr!), aber der Eindruck, dass die Verlagerung vom Inhalt hin zur Fassade ein unheilvolles Ausmaß angenommen hat, scheint, betrachtet man einmal die Ergebnisse, doch recht realitätsbasiert zu sein.
Es fängt bei der Optimierung der persönlichen körperlichen Form an und macht bei Präsentationen in beruflichem Kontext noch lange nicht Halt.
Die Fassade verdrängt den Inhalt, egal ob bei der strengen Diät zur Erreichung des gängigen Schönheitsideals, die (im meinerseits ärztlich beobachteten Extremfall) eine den Arbeitsplatz gefährdende Konzentrationsschwäche zur Folge hat – ob nun aufgrund der enormen Energie, die es bedarf, ein Grundbedürfnis wie Hunger und dem Drang diesen durch Nahrungsaufnahme zu lindern zu unterdrücken oder vielleicht durch den einfachen Untergang von Hirnzellen durch die Unterversorgung mit Nährstoffen, sei mal dahingestellt – oder bei der den Bankrott einer Firma zur Folge habenden Führung derselben durch smarte, sich gut präsentierende Führungskräfte, ohne besondere fachliche Qualifikation.
Was bleibt da übrig, was man fotografisch durch Augen und Interpretation hindurchfiltern könnte? Zunehmend nichts?
Dabei sind es genau diese, die Körperoptimierten, wie die metastasierenden Wasserköpfe der Unternehmen, die nach Abbildung, auch fotografischer gieren, ist es doch das Hauptmedium ihrer Selbstdarstellung.
Dann gälte es vielleicht in der Tat, die innere Leere sichtbar zu machen. Als Feststellung, als Warnung? Und wem brächte die Sichtbarmachung der Leere etwas?
Vielleicht denen, die gerade dabei sind, sich geistig zu entkernen?
Gilt es etwas zu tun und wenn ja, was?
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* Danke an den Stilpiraten, für das Verlinken dieses Artikels auf facebook.