19. März. 2024

Das Foto und seine Kritik – Weh und Ach!

Amerikanischer Photograph um 1898: Der Goldrausch, Alaska. 1898. England, Sammlung M. John Hillelson.
Amerikanischer Photograph um 1898: Der Goldrausch, Alaska. 1898. England, Sammlung M. John Hillelson.

Gerade habe ich im Blog von kwerfeldein (Foto-Magazin) einen Text über das ultimative Foto gelesen, das es ja nicht gibt. Insofern ist Kritik eine natürliche Sache. Das ist in anderen Bereichen der Kunst nicht anders. Kritik gehört zur Kunst. Martin Gommel führt dabei einen Haufen von „kritischen Bemerkungen“ an, die sich in Kommentaren zu Fotos im Blog befinden. Und er zeigt an, dass es mit dem Niveau der Kritik selbst nicht unbedingt zum besten gestellt ist. Dem will ich nicht widersprechen.

So wieder jeder heute fotografieren (Fotos machen) kann, kann auch jeder kritisieren. Das Phänomen scheint mir aber ein anderes zu sein. Die Fotografie ist selten Kunst, sondern meistens Zeugnis eines Moments – was manchmal zusammenfällt. Meistens jedoch nicht. Bilder können technisch fein gebaut sein, sie können inszeniert sein, sie können dies und können das sein. In der fotografischen Bilderflut gewinnen aber immer mehr jene Bilder den Augen-Blick des Betrachters, die sich herausheben. Wenn man da mal ehrlich ist: es geht um „tolle“ Bilder. Eindruckschindende Bilder, die jedoch seltener ausdrucksschindende Bilder sind. Sie „wollen“ beeindrucken. Sie fordern das „Oh“ und „Ach“.

Die Fotos nähern sich dem Medium Werbung an: als Werbung für sich selbst. So wie dann manche Werbung hängen bleibt, bleiben es dies auch die Fotos. Diese bleiben im Gedächtnis. Einerseits. Aber sie hängen eben doch sehr am Effekt. Die Mittel der modernen Bildbearbeitung tun ihren Teil dazu. Sie würzen die Fotos, die zu flau, die zu schief, die durch Bildelemente „gestört“ sind. Es ist wie mit dem Glutamat im Essen. Das ist legitim. Das zu fade Essen schmeckt mit etwas Würze. Wird es zu viel, beginnt es vom Duften zum Stinken überzugehen. Viele Bilder leiden daran: Wie in der Zeit als plötzlich der Dynamikumfang von Bildern mittels HDR „erweitert“ worden ist. Weil das Auge ja auch diesen Dynamikumfang und noch mehr hat. Die Neigung zum Extremen in Formaten oder Bildwinkeln. Wer aber wäre frei davon.

Amerikanischer Photograph um 1857: Überschwemmung in den Vereinigten Staaten. 1857, Daguerreotypie.New York, Sammlung »International Museum of Photography«, George Eastman House, Rochester.
Amerikanischer Photograph um 1857: Überschwemmung in den Vereinigten Staaten. 1857, Daguerreotypie.New York, Sammlung »International Museum of Photography«, George Eastman House, Rochester.

Simpel müsste man die Leute zurückversetzen in die Ära der DIA-Fotografie. Da ist drauf, was im Sucher war – mit allen Ungereimtheiten.

Doch das Foto ist nicht das Auge. Das Auge ist nicht das Foto. Bildbearbeitung am Rechner ist okay, weil man es kann und weil es auch Spaß macht. Sie korrigiert optische Fehler und akzentuiert das, was man zeigen möchte. Dann ist es aber auch gut. Darüber hinaus wird es im besten Fall zum Experiment, im schlechtesten Fall zur plumpen Augenanmache, zur Blenderei.

Widersprechen möchte ich Martin Gommel allerdings vehement, wenn er sagt, „dass Kritiken immer persönlichen Eindrücken unterliegen“. Das mag für ein Großteil stimmen, die entweder nur aus dem Bauch heraus oder nur formaler Art sind. „Das Bild hängt schief“. Aber manchmal ist es genau dieses Bild, das schief hängen muss, weil es gerade gehängt falsch wäre. Das kann man aber nur dann erkennen, wenn man den Blick etwas tiefer versenkt in das Foto. Freilich fehlt es häufig an Techniken der Wahrnehmung ebenso wie an Techniken der sprachlichen Darstellung.

Ich bin es aus dem Bereich der Musikkritik gewohnt, dass Musikkritik a) zum Kern der musikalischen Angelegenheit vordringen muss und b) dies auch sprachlich darzustellen hat. In einigen Bereichen der Musikkritik ist es da aber nicht anders als bei den meisten Fotokritikern. Sie rühren an der Oberfläche mit Floskeln, die man ja nicht begründen will und muss, weil sie nur persönlich gemeint sind. Warum aber ein Arrangement in der Popmusik misslingt, warum es beim einen Stück nicht groovt, genau diese Punkte des Misslingens zu bezeichnen, fällt vielen schwer. Es groovt eben nicht, der Sound ist mies. Das Bild hängt schief. Das ist die eine Seite, die andere ist es ja, herauszubekommen, nach Schönbergs Wort, „was es ist“ ist, nicht „wie es gemacht“ ist. Man kann das nicht so einfach trennen, wie es das Wort wahrhaben will. Aber es ist die Tendenz gemeint, sich nicht mehr um die Sache selbst zu kümmern, sondern um seine Herstellung, seine handwerkliche Organisation … Die darf man einfach mal als vorausgesetzt gelten lassen.

Frontseite der ehemals Bolland'schen Bierbrauerei. Regensburg. Foto: Hufner
Frontseite der ehemals Bolland’schen Bierbrauerei. Regensburg. Foto: Hufner

Und gewiss befindet man sich dann im Bereich des Spekulativen, aber deshalb längst noch nicht im Bereich des Beliebigen. Auch die Kritik muss diskursiv sein, das heißt, verstehbar und prinzipiell beantwortbar. Der Fotografie eines roten Hauses kann man nicht zum Vorwurf machen, dass es nicht gelb ist. Dem Bild eines Nachdenkenden Menschen kann man nicht zum Vorwurf machen, dass er nicht lacht. Aber dem Bild eines ein Kind umarmenden Kriegsminister kann man den Vorwurf machen, eine Lüge zu zeigen. Und es bedeutet wieder etwas anderes, wenn dieser Minister gerade unter dem Galgen steht. Das Prinzip ist leer, die Bedeutungen sind nur welche, die in Beziehung sind.

Selbst die dokumentarische Fotografie entgeht nicht diesem Verhängnis. Das Dokument ist nicht so neutral, wie es den Anschein hat. Denn auch dem Auge durch die Linse entgeht all das, was es nicht zeigt. Das ist eine so triviale Einsicht, die zur Folge hat, einzusehen, dass Fotografie grundsätzlich manipulativ ist – selbst noch ohne Einsatz postmanipulativer Mittel. Wenn Andreas Gursky seine Bilder manipuliert, so sicher nur nachrangig, um sie technisch zu korrigieren, als vielmehr um sie inhaltlich gerade zu rücken. Wie gut das im Einzelnen gelungen sein mag, darüber kann man sich streiten, von Bild zu Bild.

Es gibt kein ultimatives Bild/Foto/Musikstück/wasauchimmer. Richtig. Es gibt aber hinreichend genügend ultimativ überflüssige Fotos – manchmal sind es die gerade technisch „Besten“.

6 Kommentare

  1. Genau aus diesen Gründen mag ich meine Fotokurse bei Thomas Michalak so sehr – weil wir immer wieder das Sehen thematisieren, die Wahrnehmung schärfen und die Entscheidungen -für eine Meinung, ein Bild, eine Kritik – begründen.

    Also das tun, was jede Art von Kunst-Kritik vollbringen muss, wie du ja auch schriebst, ganz gleich, ob es sich um Musik, Bilder, Literatur, Tanz oder wasauchimmer handelt.

    Ja, und Nachahmung der „technisch besten“ Dinge ist eine schöne Übung, die aber als Selbstzweck für andere nicht zwingend interessant oder ausdrucksstark sein muss.

  2. Ja. Sowieso. Aber auch Ausdruck ist ja nicht etwas, was so direkt sein muss. Sondern kann und in der Regel unvermeidlich ist. Mindestens auf Rezeptionsseite.

    Wenn man mal bedenkt, dass mir zumindest spontan, nicht ein einziger Autor aus der Fotogeschichte direkt einfällt, der Bienchen auf Blümchen fotografiert hätte, andererseits in der Malerei aber Stilllleben unendlich an Anzahl sind, darf man sich auch ins Land des reinen Scheins begeben.

    Für die Kritik stimme ich dir vollkommen zu. Kritik ohne Handwerk geht fast noch weniger als Handwerk oder Kunst. Obwohl jeder erkennen können sollte, was wie mit dem Hammer falsch gedacht, gemalt, ausbelichtet … wurde.

  3. .

    Na, es ist seit langen Zeiten ein mich immer sehr bekümmerndes Problem. Ich habe einen fetten Band „Theorie(n) der Fotografie“ bekommen. Da sind zentrale Texte der Auseinandersetzung mit der Fotografie enthalten. Über 1000 Seiten mit Aufsätzen, fotografiekritischen und fotografieappologetischen Inhalts. Immer die Frage dabei, was zeichnet Fotografie als Kunst aus oder was entwertet sie.

    Für keine andere Kunstform kommt mir die theoretische Auseinandersetzung so sinnlos vor wie im Bereich Fotografie, dass ich dazu neige, sie als Kunst komplett für sinnlos zu halten.

    Jede Kunst arbeitet mit der Manipulation ihres Materials, sowiel wird man sich einig sein. Selbst das Dokument ist manipuliert.

    Die darüber im fotografischen hinaus gehen, sind die Extremmanipulateure. Jeff Wall ebenso wie Gursky zum Beispiel. Der Heimfotograf will das ja offen eher nicht. Der sammelt seine Augenblicke. Wenn er sich gut anstellt, will er/sie/es seine Realität sehen: Die Familie beim Grillen oder beim Urlaub auf dem Gletscher.

    Genau dazwischen ist aber eine riesiege Szene entstanden, die anspruchsvolle Fotografie betreiben will. Und das auch umsetzt. Und vielleicht den einen oder anderen witzigen Schnappschuss macht, oder das eine oder andere lyrische Bild schießt. Daran ist nichts verwerflich. Es ist aber bis zu einem gewissen Maß einfach normalerweise mittelmäßig oder verpufft nach dem Woow wie die Fototapete eines Sonnenuntergangs auf Kreta.

    Warum das alles? Wenn man selbst fotografiert wird einem mit der Zeit vieles aus dem eigenen Bildbereich öde. Wenn man nur kritisch genug mit sich selbst ist, ist plötzlich überall Kitsch in den Bildern. Es ist furchtbar.

  4. Vielleicht ist es auch ein wenig die Frage, welche Funktion die Fotografie für den Fotografen hat? Da dürfte es Hauptströmungen, aber auch Ausreißer in verschiedene Richtungen geben.
    Will man sich selbst darstellen? Will man das, was man fotografiert darstellen? Will man kommunizieren, das was man sieht und wen man sieht erfassen und das Bild ist letztlich nur ein Produkt mit wechselnder Wichtigkeit?

    Es ist vielleicht auch eine Frage, aus welchem „Denkfeld“ man kommt.
    Der Geisteswissenschaftler fotografiert, kritisiert und wertet vielleicht anders als der Naturwissenschaftler, als der Musiker, als der Verwaltungsangestellte, als der Arzt und vor allem, als der Fotograf?
    (Okayokay, man/frau denke sich hier bitte die weibliche Form all dessen, denn nichts liegt mir ferner, als gegen das AGG zu verstoßen.)

    Und wird einem nicht mit der Zeit auch vieles andere öde? Verpuffen Pathos und Kitsch nicht auch in anderen persönlichen Bereichen, im Moment schwindender eigener Wichtigkeit?
    Ist doch bisweilen auch erheiternd.

    (((Oh, jetzt habe ich ja doch was gesagt.)))

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